Das Gottesbild der Physiker
Gerd Fussmann

1. Eine ungewöhnliche Umfrage 

Im Jahre 2003 erreichte mich per E-mail eine ungewöhnliche Anfrage eines Studenten der Philosophie von der Universität Mainz. Michael Nowotny so sein Name, bat mich, an einer elektronischen Umfrage teilzunehmen, die er an 1295 Professoren der Physik an 59 Universitäten in ganz Deutschland verschickt hatte. Gegenstand der Befragung war – einfach ausgedrückt – die religiöse Einstellung der Angesprochenen. Genauer ging es ihm jedoch um die Frage, ob die provozierenden Aussagen der Quantenmechanik einen prägenden Einfluss auf das Gottesbild der Gelehrten ausgeübt hätten. Das Ergebnis der statistischen Auswertung dieser Befragung wurde schließlich von Herrn Nowotny anonymisiert und in Form einer Seminararbeit [1] zusammengefasst. Jetzt, rund zehn Jahre später (und bereits im Ruhestand), habe ich mir diese Ausarbeitung noch einmal angeschaut. Sie wirft interessante Fragen auf, die sich zum Teil auch in verschiedenen Kolloquien und Seminaren, denen ich in den vergangenen Jahren beiwohnte, stellten, obwohl dort so gut wie nie ihr philosophisch-theologischer Bezug diskutiert wurde.

Zunächst aber zurück zu den zwei Kernfragen, um deren Beantwortung Herr Nowotny bat. Die erste war knapp und klar: Man sollte aus einer Liste von sieben Möglichkeiten sein Gottesbild auswählen. Schwieriger war die zweite, bei der man angeben sollte, mit wessen Gottesbild eines großen Physikers (Einstein, Planck, Heisenberg etc.) man eventuell übereinstimme. Schließlich gab es auch noch die Möglichkeit, einen Kommentar anzuhängen, in dem man mehr oder weniger ausführlich seine Auffassungen darlegen konnte.

Von den 1295 angeschriebenen Personen haben nur 157 an der Befragung teilgenommen. Diese relativ geringe Teilnahme erklärt sich zum Teil aus der überbordenden Zahl der Anfragen, die an Hochschullehrer aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft, vor allem aber von den Ministerien und den wissenschaftlichen Organisationen gerichtet werden. Wenn man auf alle diese

„wichtigen“ Fragen mit der gebotenen Sorgfalt hätte antworten wollen, wäre für Forschung und Lehre kaum noch Zeit geblieben. Gewichtiger war aber wohl doch das Thema selbst: Manch einer wird wohl gedacht haben, da müsste ich ja zunächst mit mir in Klausur gehen, um meinen aktuellen Standpunkt festzulegen.

Kategorien der Gläubigkeit
Für mich selbst war zunächst die von Herrn Nowotny beigefügte Liste, die in der oberen Tabelle wiedergegeben ist, von Interesse. Diese Zusammenstellung der verschiedenen Grade der Gläubigkeit bzw. Ungläubigkeit war einige Zeit zuvor in der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“[2] publiziert worden. Obwohl ihr, wie allen Schubladen, etwas Schematisches anhaftet, erscheint sie mir dennoch hilfreich den eigenen Standpunkt einzuordnen. In der zweiten Spalte der Tabelle sind die von der Zeitschrift angegebenen Erläuterungen wiedergegeben und in der dritten sind die Prozentzahlen angeführt, wie sich die befragten Physiker auf die verschiedenen Kategorien verteilen.
Überraschenderweise bekennen sich danach nur 14% zum Atheismus, während die Zahl der Agnostiker doppelt so hoch ausfällt. Nach meiner Erinnerung habe ich mich damals auch bei den Agnostikern eingeordnet. Völlig unerwartet ist mit 30 % jedoch der noch höhere Anteil der Theisten, also derjenigen, die an einen persönlichen Gott glauben. Hier ist allerdings Vorsicht bei der Beurteilung geboten: nach meiner Einschätzung ist die überwiegende Zahl der Physiker bei den Atheisten einzuordnen, aber diese fanden wahrscheinlich die ganze Fragestellung eher irrelevant und gaben keine Antwort. Auch sind die Physiker nicht als eine homogene Gruppe zu betrachten. Die meisten von ihnen sind beruflich mit sehr praktischen Dingen befasst, bei denen sich die Frage nach einem übergeordneten Ganzen kaum stellt. Auch die theoretischen Physiker sind überwiegend mit ganz konkreten Problemen befasst, die sie durch Anwendung der Mathematik auf bekannte Gesetze zu lösen versuchen. Nach meiner Einschätzung sind es höchsten 5% die sich mit wissenschaftlich fundamentalen oder gar philosophisch-theologischen Grundfragen beschäftigen. Auf einige dieser Fragen werde ich später zurückkommen, zunächst möchte ich Ihnen aber einige Kommentare der Befragten zur Kenntnis bringen.

Kommentare zur Umfrage
Insgesamt haben 22 der Befragten einen mehr oder weniger ausführlichen Kommentar abgegeben. Nicht wenige stellen die Sinnhaftigkeit der ganzen Befragung in Zweifel. Ein typischer Kommentar hierzu lautet wie folgt:
a) Ich halte Ihre Umfrage für sehr problematisch. Sie gehen davon aus, dass jeder (ob Physiker oder nicht) mit einem wohldefinierten Gottesbild herumläuft, welches man dann einfach abfragen und in eine Schablone pressen kann. Ein so ermitteltes Umfrage-Bild dann auch noch in Zusammenhang mit philosophischen Aspekten der Quantenmechanik zu bringen, ist schlichtweg verwegen. Aus der Wissenschaft (ob Quantenmechanik oder Relativitätstheorie etc.) folgt manches für die Philosophie, aber nichts über Gott. Um gewisse gesellschaftliche Trends dingfest zu machen (die Kirchen werden immer leerer) braucht man keine solche Umfrage.
 
Andere äußern sich ebenfalls skeptisch, nehmen jedoch konkret Bezug zu einer bestimmten Fragestellung wie etwa in den folgenden zwei Antworten:
b) Die Nichtleugnung der Existenz nichterkennbarer (transempirischer) "Realitäten", Ihre Definition von Agnostizismus, ist für mich eine "leere" Haltung. Wenn etwas per Definition nicht erkennbar ist, kann man es nicht leugnen. Man kann daran glauben oder nicht. In der heutigen Zeit – in der der Okkultismus zunimmt – sollte man sich nicht zur "Existenz transempirischer Realitäten" bekennen. Die Begriffe Realität und Transempirik schließen sich aus.
c) Ihre Fragestellung scheint mir zu eng angelegt: es gibt etliche religiöse Glaubensrichtungen mit nicht personifizierter Transzendenz: Buddhismus. Mein Atheismus bezieht sich auf JEDE religiös zu interpretierende Transzendenz, ich halte jede Religion für Aberglauben. Das heißt nicht, dass ich jede – wie Sie es sehr schön nennen –  "transempirische Realität" für ausgeschlossen halte, im Gegenteil. Da das menschliche Erkenntnisvermögen Resultat einer evolutionären Anpassung an die "alltägliche" Welt des Steinzeitmenschen ist, muss man annehmen, dass es vieles gibt, was wir einfach nicht nur nicht verstehen, sondern auch mit Apparaten nicht wahrnehmen. Nur hat dies alles eben keine religiöse Relevanz, es ist einfach Bestandteil der "Welt", nur für UNSERE Empirie nicht wahrnehmbar.

Ein Professor mit einem persönlichen Gottesbild äußert sich so:
d) Der Schöpfungsbericht der Bibel macht keine naturwissenschaftlichen Aussagen; insofern ist er nicht wörtlich zu nehmen. Er entspricht den Vorstellungen der an Gott glaubenden Juden vor 3000 Jahren. Seine bleibende Bedeutung liegt für den gläubigen Christen (wie auch für den gläubigen Juden und Muslim) aller Zeiten in der Aussage, dass die Welt von Gott geschaffen wurde und von ihm im Dasein erhalten wird. Diese Aussage ist durch keine noch so erfolgreiche Naturwissenschaft zu widerlegen. Relativ nahe stehe ich der Alternative D (Theismus). Denn ich glaube an einen persönlichen Gott, der die Welt erschaffen hat und erhält, dem insbesondere die Menschen ihre Existenz verdanken und der auch auf geheimnisvolle Weise – bei aller menschlichen Freiheit zum Guten wie zum Bösen – sehr wirkmächtig die Geschichte steuert. Diese Weltnähe Gottes äußert sich vor allem in seiner Menschwerdung in dem Juden Jesus von Nazareth. ...

Hier der Kommentar eines Professors mit einem pantheistischen geprägtem Gottesbild:
e) Trotz der theory of everything könnte die Physik niemals etwas beschreiben, was wirklich (transzendental) unabhängig von uns ist, denn sie beschreibt Erscheinungen, und für die ist das Ich, dem sie erscheinen, nun mal eine Möglichkeitsbedingung. ...
Dem Begriff Schöpfung ist aber der Begriff einer Schöpferinstanz mitgesetzt. Diese nenne ich Gott. Und weil Gott, Ich, das Universum, alle im oben geschilderten Sinne verwoben sind, kann ich Gott in allem aufspüren, wenn ich achtsam hinhöre. Deshalb kann ein Mitmensch zum Engel werden, deshalb kann ich mit Gott reden, wenn ich in die Stille hineinspüre, die in mir und in allen Dingen singt. Sünde heißt Fernsein von Gott. Natürlich ist sie trotz der engen Verwobenheit mit Gott möglich. So wie man sich selbst verleugnen kann, kann man seiner göttlichen Natur davonlaufen. Man kann sich ablenken, nicht hinhören, das Wunder (s.o.) als bloße Materialgestalt missverstehen.

Insgesamt ergibt sich aus dieser Befragung keineswegs ein eindeutiges Ergebnis, was Gott einem Physiker bedeutet. Es erscheint mir daher relevanter, der Frage anhand der Äußerungen nachzugehen, die berühmte Physiker – teils aus eigenem Antrieb teils als Antwort auf gezielte Fragen – gemacht haben. Hierzu möchte ich im Folgenden einige Nobelpreisträger zu Wort kommen lassen.

2. Weltbilder großer Physiker

In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts erfuhr das physikalische Weltbild einige ganz wesentliche Erweiterungen. Dazu gehören neben der Relativitätstheorie, die in erster Linie Albert Einstein (1879-1955) zugeschrieben wird, die Entwicklung der Quantenmechanik, an der zunächst Max Planck (1858-1947), dann aber vor allem Werner Heisenberg (1901-1976), Erwin Schrödinger (1887-1961), Paul Dirac (1902-1984) und Wolfgang Pauli (1900-1958) beteiligt waren. Hinzu kamen die großartigen Entdeckungen auf dem Gebiet der Kosmologie. Insbesondere die Quantenmechanik, die die Physik der Atome und Moleküle beschreibt, erwies sich als eine extreme Herausforderung an den menschlichen Verstand. Phänomene wie Welle-Teilchen Dualismus, Heisenbergsche Unschärferelation oder die Verschränkung der Quantenzustände sind dem normalen Denken extrem fremd und mit rein sprachlichen Mitteln nur annähernd zu vermitteln. Allein die Mathematik erlaubt eine adäquate Beschreibung der Vorgänge. Die mathematische Formulierung (etwa in Form der Schrödinger-Gleichung oder der Heisenberg-Matrizen und ab 1928 der Dirac-Gleichung) erwies sich zudem als außerordentlich zuverlässig, was die Wiedergabe der Beobachtungen anbelangte und erlaubte sogar auch bislang unbekannte Erscheinungen oder Teilchen vorherzusagen. Allerdings war sie aus prinzipiellen Gründen nicht in der Lage, beliebig genaue Aussagen zu machen, sondern nur innerhalb einer statistischen Bandbreite (im Rahmen der Heisenbergschen Unschärfe Relation). Anstelle des Faktischen der bisherigen klassischen Physik stand nun das Mögliche in Form einer Wahrscheinlichkeitsaussage. In der Konsequenz bot die Quantenmechanik damit auch Raum für neue philosophisch bzw. theologische Denkansätze; denn während die klassische Physik mit ihren streng deterministischen Aussagen eigentlich keinen schaltenden und waltenden Gott zuließ, schien dies nun keineswegs mehr ausgeschlossen.
Einstein stand zeitlebens der Quantenmechanik kritisch gegenüber, nicht weil er überzeugter Atheist war, sondern gerade wegen ihres statistischen Charakters. Sein bekanntes Gegenargument „Der Alte würfelt nicht“ ist legendär, darf aber nicht so verstanden werden, als hätte er an einen persönlichen Gott geglaubt [3]. Wohl aber glaubte er – ebenso wie Planck – an die Mächtigkeit der Naturgesetze in denen er etwas Göttliches erkannte. Die Gleichungen der Quantenmechanik wie sie von Heisenberg und Schrödinger vorgelegt worden waren, schienen ihm aber unvollkommen und daher nicht geeignet, Aussagen über die Welt als Ganzes zu machen. Einstein hat sein Gottesbild 1929 sehr schön in einer Antwort an einen New Yorker Rabbiner zusammengefasst: „Ich glaube an Spinozas Gott (womit er sich als Pantheisten zu erkennen gibt), der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt.“

Im Gegensatz dazu mochte Heisenberg die Existenz eines persönlichen Gottes nicht unbedingt ausschließen. Aufschlussreich ist der folgende (abgekürzt wiedergegebene) Dialog [4] zwischen Heisenberg  und Pauli, einem kühlen Rationalisten:
HEISENBERG: In der Naturwissenschaft ist die zentrale Ordnung daran zu erkennen, dass man schließlich solche Metaphern verwenden kann wie << die Natur ist nach einem Plan geschaffen in der sich die zentrale Ordnung immer wieder durchsetzt>> Ich finde, dass man diese ganzen Zusammenhänge viel besser denken kann, seit man die Quantentheorie verstanden hat, denn in ihr können wir in einer abstrakten Sprache einheitliche Ordnungen über weite Bereiche formulieren.
PAULI: Was meinst Du damit, dass sich, wie Du sagst, die zentrale Ordnung immer wieder durchsetzt? Die Ordnung ist da, oder sie ist nicht da. Aber was soll durchsetzen heißen?
HEISENBERG: Damit meine ich etwas ganz Banales, nämlich zum Beispiel die Tatsache, dass nach jedem Winter doch wieder Blumen auf den Wiesen blühen und dass nach jedem Krieg die Städte wieder aufgebaut werden, dass also Chaotisches sich immer wieder in Geordnetes verwandelt.
PAULI: Glaubst Du eigentlich an einen persönlichen Gott?
HEISENBERG: Darf ich die Frage auch anders formulieren? Dann würde sie so lauten: Kannst du, oder kann man der zentralen Ordnung der Dinge oder des Geschehens, an der ja nicht zu zweifeln ist, so unmittelbar gegenüber treten, mit ihr also in Verbindung treten, wie dies bei der Seele eines anderen Menschen möglich ist? Wenn Du so fragst, würde ich mit Ja antworten.
PAULI: Du meinst also, dass Dir die zentrale Ordnung mit der gleichen Intensität gegenwärtig sein kann wie die Seele eines anderen Menschen? Warum hast Du hier das Wort Seele gebraucht und nicht einfach von einem anderen Menschen gesprochen?
HEISENBERG: Weil das Wort Seele eben hier die zentrale Ordnung, die Mitte, bezeichnet bei einem Wesen, das in seinen äußeren Erscheinungsformen sehr mannigfaltig und unübersichtlich sein mag.

In diesem Dialog erkennt man unschwer die Beeinflussung Heisenbergs durch Platon und Kant. Die zentrale Ordnung, die er an anderer Stelle auch als Bauplan der Welt bezeichnet, ist ein wichtiger Begriff in der Philosophie Platons. Im Gegensatz zu Demokrit der im atomistischen Aufbau der Welt das grundlegende Prinzip der Natur sah, stellte Platon den Bauplan in den Vordergrund. In heutiger Formulierung würde man es auch so ausdrücken können: Nicht die Atome, die kleinsten Bausteine der Materie, sondern die Naturgesetze bestimmen letztlich den Ablauf des Weltgeschehens.
Auf die Frage Paulis nach seinem Gottesbild, antwortet Heisenberg im Sinne Kants, der in seinem Werk „Kritik der praktischen Vernunft“ schrieb: "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer, zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: D e r  b e s t i r n t e  H i m m e l ü b e r m i r  u n d  d a s  m o r a l i s c h e  G e s e t z  i n  m i r ." Beide verknüpfe ich mit dem Bewusstsein meiner Existenz. "
Das „moralische Gesetz“, nahm Heisenberg sehr wichtig und deutete es im Sinne des Kantschen Imperativs: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ So sagt er an anderer Stelle: „Die Frage nach Gott ist ja längst keine wissenschaftliche Frage mehr, sondern die Frage nach dem was wir tun sollen.“

Eine ganz ähnliche Auffassung vertritt auch Schrödinger, der das persönliche Gotteserleben noch stärker hervorhebt. Er schreibt: „Wenn Gott erlebt wird, so ist das ein Erlebnis, genau so real wie eine unmittelbare Sinnesempfindung oder wie die eigene Persönlichkeit“. Für ihn ist das persönliche Glücksgefühl etwas ganz Reales in dem sich Gott uns mitteilt. Er distanziert sich auch ausdrücklich vom Pantheismus. Für ihn ist Gott nicht in der ganzen Natur sondern im Wesentlichen „nur dort, wo wir Menschen ihn erkennen“.

Eine weitgehend andere Auffassung finden wir bei dem englischen Nobelpreisträger Paul Dirac, der zunächst Elektrotechnik studierte, sich dann aber zu einem theoretischen Physiker par excellence entwickelte. Für ihn gab es nichts Ästhetischeres als die mathematischen Gleichungen der Physik. 1928 gelang ihm dann auch mit der Aufstellung der Dirac-Gleichung, die Quantenphysik mit der Relativitätstheorie zu vereinen – s. Anmerkung  *1) . Die neue Gleichung gab zunächst einige Rätsel auf, denn sie erlaubte den Teilchen auch negative Energiewerte anzunehmen. Dirac erkannte, dass die Natur offensichtlich noch eine andere Zustandsform als die bekannte Materie zuließ, sozusagen eine „Antiwelt“ bestehend aus gespiegelten Teilchen, den Antiteilchen. Tatsächlich wurde bereits 1932 das erste Antiteilchen experimentell nachgewiesen. Es handelte sich um das Positron, das Gegenstück zum Elektron, mit entgegengesetzter Ladung aber gleicher Masse. Heute wissen wir, dass es zu jedem real existierenden Teilchen – gleichgültig ob elementar oder zusammengesetzt (Atome, Moleküle) – ein Antiteilchen geben kann und in den großen Beschleunigungsanlagen sind viele davon leicht zu erzeugen. Es besteht auch guter Grund zu der Annahme, dass zum Zeitpunkt des Urknalls vor 13,7 Milliarden Jahren nahezu genau so viel Materie wie Antimaterie vorlag, doch verschwand die Antimaterie bereits innerhalb der ersten Sekunde gleich wieder durch Annihilation (Zerstrahlung). Dabei zerfällt jeweils ein Teilchen mit seinem Antiteilchen und es entstehen zwei hochenergetische Photonen (Lichtteilchen). Auf diese Weise wurde der frühe Kosmos mit Licht aufgefüllt, das wir noch heute beobachten können. Nur ein winziger Bruchteil (etwa 1 Milliardenstel), der Überschuss an Materie, blieb übrig und bildete alle Sterne, Planeten und Staubwolken und überhaupt alles, was wir sehen können.
Niels Bohr beschrieb den jungen Dirac als einen „fanatischen Rationalisten“ und er selbst bekannte sich ohne Zögern als Atheisten („Mit den drei Buchstaben G O D kann ich gar nichts anfangen!“). Später sah er die Dinge aus einer etwas anderen Perspektive. In einem Vortrag behandelte er abschließend die Frage „Gibt es einen Gott“? und führte dazu aus: „Wenn es Kausalität oder Determinismus gibt, dann würde es mir scheinen, dass es unter diesen Bedingungen für Gott keinen Raum gibt. Nun sind Physiker auf den Gedanken gekommen, es gäbe keine vollständige Kausalität, etwas, was Quantensprung *2) genannt wird, findet statt, und es könnte sein, dass es einen Gott gibt, der diese Quantensprünge beeinflusst... Ich möchte daher diese Beziehung zwischen der Existenz Gottes und den physikalischen Gesetzen aufzeigen: Wenn die physikalischen Gesetze derart sind, dass das Entstehen von Leben eine außerordentlich geringe Wahrscheinlichkeit hat, so dass es nicht vernünftig wäre anzunehmen, dass Leben aus blindem Zufall entstanden ist – dann muss es einen Gott geben, und ein solcher Gott würde wahrscheinlich seinen Einfluss auch in den später auftretenden Quantensprüngen zeigen.“[4]
Dirac meint also, wenn es schon Gott bedurfte, um die Welt zu erschaffen, dann ist es auch wahrscheinlich, dass er auch heute noch bei allen Entscheidungen seine Hand im Spiel hat. Er bezieht damit eine Gegenposition zum Deismus, wonach Gott nur die Schöpfung vollzogen hat, seitdem sich jedoch jeglicher Einmischung enthält. Dass der Deismus nicht so abwegig ist, wie es zunächst den Anschein hat, soll im folgenden Kapitel etwas näher erläutert werden.

3. Der Urknall – ein göttlicher Schöpfungsakt ?

Als Einstein in den Jahren 1915-1916 in Berlin seine allgemeine Relativitätstheorie entwickelte, ging er – im Einklang mit dem damaligen Weltbild der Gelehrten – von einem statischen Kosmos aus. Das Weltall, wie es sich den Astronomen zeigte, war schon seit ewigen Zeiten so, wie man es gegenwärtig sah und würde auch in Zukunft keine größeren Veränderungen zeitigen. Dummerweise sagte aber seine gerade entwickelte Theorie etwas anderes: das Weltall sollte sich danach entweder ständig ausdehnen oder kontrahieren. Um zu einem statischen Weltall zu gelangen, musste er künstlich einen zusätzlichen Term, die sogenannte „Kosmische Konstante“ *3) in die Gleichung einfügen. Etwa 20 Jahre später ärgerte er sich über diese Entscheidung und hielt sie für „die größte Eselei in meinem Leben“, denn die Astronomen *4) waren nach einer sorgfältigen Analyse der Bewegungen der Sterne *5) zu der Auffassung gelangt, dass sich der Kosmos in der Tat ständig ausdehnte. Rechnete man zurück, so musste er zu einem früheren Zeitpunkt einmal sehr klein, wenn nicht gar nahezu punktförmig gewesen sein. Alles war danach aus einer Art Anfangsexplosion, dem Urknall *6), hervorgegangen. Inzwischen verfügen wir über eine ganze Reihe von Beobachtungen, die die Urknalltheorie stützen *7), so dass sie unter Wissenschaftlern eigentlich nicht mehr in Zweifel gezogen wird. Von Seiten der katholischen Kirche wurde die Urknallthese sehr positiv aufgenommen, konnte man sie doch als naturwissenschaftlichen Beleg für den Schöpfungsakt auffassen. Handelte es sich aber tatsächlich um einen solchen Schöpfungsvorgang oder lediglich um einen physikalischen Prozess, der so oder auch anders hätte ablaufen können, dem keinerlei teleologische Aspekte anhafteten, jedenfalls nichts Vorsätzliches, was für die künftige Entwicklung menschlichen Lebens unabdingbar gewesen wäre? Tatsächlich verhält es sich aber genau so, als wenn ein weiser Schöpfer seine Hand im Spiel gehabt hätte: die im Urknall entstandene Materie besitzt bereits Eigenschaften, die sich viele Millionen und Milliarden Jahre später als wesentlich für die Entwicklung der Lebewesen erweisen.
Der Verfügbarkeit der drei Elemente Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu: Wasserstoff und Sauerstoff sind die Bestandteile des Wassers. Der menschliche Körper besteht zudem zu 65% aus Sauerstoff und zu 18% aus Kohlenstoff. Letztlich erscheint der Kohlenstoff in der Tat völlig unersetzbar, denn nur die Kohlenstoffatome sind in der Lage auf Grund ihrer besonderen Elektronenkonfiguration (über den Prozess der Hybridisierung) sehr große Moleküle wie die DNA aufzubauen. Diese sind aber, wegen der Notwendigkeit zahlreiche Erbinformationen zu speichern und weiter zu geben, völlig unabdingbar für die Existenz der Lebewesen.
Im Urknall selbst sind jedoch diese Atome noch nicht entstanden; sie mussten vielmehr erst durch einen Vorgang den man primordiale Nukleosynthese [5] nennt, gebildet werden. Dabei entstanden die Atomkerne der leichten Elemente Wasserstoff (und in kleinerem Umfang die Isotope Deuterium und Tritium) und Helium bereits in den ersten fünf Minuten nach dem Urknall, alle übrigen aber erst viele Hundert Millionen Jahre später in den Sternen. Der Grund hierfür liegt in einer Sperre, die die Natur dankenswerterweise eingebaut hat: Es gibt keine stabilen Kerne mit den Massenzahlen 5 und 8, die also aus fünf oder acht Nukleonen zusammengesetzt sind. Ohne diese Sperre wäre in den ersten Stunden nach dem Urknall bereits die gesamte Materie zu schweren Kernen verschmolzen und die später entstehenden Sterne hätten nicht über die Kernfusion als Energiequelle verfügt und somit auch den sich eventuell trotzdem bildenden Planeten keine Wärme spenden können. Es wäre mit anderen Worten nur kalte, leblose Materie übrig geblieben.
Auf zwei spezielle Aspekte will ich im Folgenden noch kurz eingehen, da sie sehr deutlich demonstrieren, wie viel Vorsehung im Spiel war, damit sich alles so entwickelt konnte, wie wir es heute vorfinden [5].

 Warum gibt es überhaupt verschiedene Atome?
Etwa 1 Millisekunde nachdem der Urknall erfolgt war und die schweren Teilchen und Antiteilchen sich bis auf den bereits erwähnten kleinen Rest an Materie zerstrahlt hatten, lag die Materie in einer extrem heißen (> 10^11 Grad Kelvin) Urform vor, die man als Quark-Gluon Plasma bezeichnet. Mit voranschreitender Abkühlung kam es dann in der folgenden Sekunde (bei etwa 10^10 K) zur Bildung der Bausteine der Atomkerne, der Nukleonen, indem jeweils drei Quarks sich entweder zu einem Proton oder zu einem Neutron vereinigten. Hierbei ist das Verhältnis der entstehenden Protonen- zur Neutronenzahl abhängig von dem Verhältnis ihrer Massen. Je leichter ein Teilchen ist, umso größer ist seine Chance bei dem ständigen Bombardement im Bad der energiereichen Neutrinos *8) zu überleben. Aus uns bislang unbekannten Gründen ist das Proton um etwa 0,1% leichter als das Neutron, was zur Folge hatte, dass am Ende der Abkühlungsphase das Verhältnis von Protonen zu Neutronen 5:1 betrug. Während der folgenden fünf Minuten fiel die Temperatur auf 10^9 K (1 Milliarde Grad) ab, und es bildeten sich aus jeweils 2 Neutronen und zwei Protonen die sehr stabilen Heliumkerne. Da freie Neutronen nicht stabil sind und mit einer Halbwertszeit von 10 Minuten in ein Proton und ein Elektron zerfallen, war das Verhältnis von Protonen zu Neutronen während der 5 minutigen Abkühlphase auf 7:1 angestiegen. Multiplizieren wir dieses Verhältnis mit dem Faktor 2, so haben wir 14 Protonen und 2 Neutronen, also 16 Nukleonen aus denen 1 Heliumkern unter Zurücklassung von 12 Wasserstoffkernen (Protonen) entsteht. Es ergibt sich so ein Zahlenverhältnis von 12:1 für Wasserstoff- zu Heliumkernen, aus denen sich etwa 300 000 Jahre später, als sich die kosmische Materie auf etwa 10 000 Grad abgekühlt hatte, durch Bindung von Elektronen die entsprechenden Atome bildeten. Dieses Verhältnis von 12:1 (äquivalent mit einem Massenverhältnis von 75% H zu 25% He) kann man auch heute noch in der Sonne und anderen Sternen  mit Hilfe der Spektralanalyse nachweisen.
Angenommen jedoch, die Masse von Proton und Neutron wäre gleich ausgefallen, dann wären auch gleich viele Protonen wie Neutronen entstanden, die schließlich vollständig zu Helium fusioniert wären. Damit wäre der Wasserstoff schon in den ersten Minuten aus dem gesamten Kosmos verschwunden und somit hätte später auch kein Wasser entstehen können. Vielleicht noch schlimmer: die sich später bildenden He-Sterne wären allesamt sogenannte „Rote Riesen“ geworden: extrem große Sterne, aber mit nur einer relativ geringen Lebensdauer von einigen Millionen Jahren.
Wären aber umgekehrt, die Neutronen um den gleichen Faktor (0,1%) leichter als die Protonen ausgefallen, so hätte sich zunächst ein Zahlenverhältnis von 1:5 von Protonen zu Neutronen eingestellt. Nach den 5 Minuten Abkühlung hätte sich dieses Verhältnis auf etwa 1:4 verändert. Mit 2 multipliziert ergibt 2:8, so dass aus 10 Nukleonen ein Heliumkern und 6 freie Neutronen entstehen. Letztere zerfallen in den folgenden 10 Minuten zur Hälfte in Protonen. Jetzt ist aber die Temperatur bereits soweit abgefallen, dass sich aus jeweils einem Neutron und einem Proton ein Deuteron bilden kann, was deutlich weniger stabil ist als ein Heliumkern und sich bei den höheren Temperaturen zuvor nicht bilden konnte. Als Ergebnis haben wir diesmal Deuteronen und Heliumkerne im Zahlenverhältnis 3:1. Bei der späteren Bildung von Sternen macht es aber einen sehr großen Unterschied, ob diese im Wesentlichen aus gewöhnlichem Wasserstoff (auch Protium genannt) oder schwerem Wasserstoff (Deuterium) aufgebaut werden, denn Deuterium wird bei der Kernfusion wesentlich schneller zu Helium verschmolzen als Protium. Alle Sterne würden dann nach einer kurzen Brennphase von wenigen Stunden oder Tagen schon wieder erloschen sein – viel zu kurz also, als dass sich in ihrer Umgebung Leben hätte bilden können.

Warum gibt es Kohlenstoffatome und weshalb sind diese so wichtig?
Während wir im vorausgehenden Abschnitt gesehen haben, dass in der frühen Urknallphase im Wesentlichen nur Wasserstoff und Helium entstanden sind, werden alle übrigen Elemente frühestens 400 Millionen Jahre später in den Sternen gebildet. Dort wird zunächst in einem sehr langsamen Prozess Wasserstoff zu Helium verschmolzen. Nach einigen Milliarden Jahren, wenn der Vorrat an Wasserstoff weitgehend erschöpft ist, werden während der sogenannten Heliumbrennphase die schweren Elemente fusioniert. Wichtig ist dabei die Frage, wie viel Kohlenstoff wird gebildet? Der Kohlenstoffkern besteht aus 12 Nukleonen, sechs Protonen und ebenso viele Neutronen. Er kann somit prinzipiell aus drei Heliumkernen gebildet werden. Ebenso kann Sauerstoff mit der Massenzahl 16 aus 4 Heliumkernen aufgebaut werden. Die Wahrscheinlichkeit jedoch, dass sich drei oder gar vier solcher Kerne hinreichend nahe kommen, damit sie unter dem Einfluss der Kernkräfte verschmelzen, erwies sich als viel zu klein. Die Kerne müssen vielmehr sukzessive aufgebaut werden: erst müssen zwei Heliumkerne zu einem Bor-Kern mit der Massenzahl 8 verschmelzen, der dann nach einiger Zeit einen dritten Heliumkern anlagert und somit zum Kohlenstoffkern wird. Durch Anlagerung eines weitern Heliumkerns wird daraus Sauerstoff und schließlich in einem fünften Schritt das Element Neon mit der Massenzahl 20. Wie aber bereits erwähnt, sind Kerne mit der Massenzahl 8 extrem instabil, sie zerfallen innerhalb von 10^-16 Sekunden wieder. So schien es zunächst, konnte es nicht funktioniert haben. Dann kam jedoch im Jahre 1952 der englische Astronom Fred Holye und sagte sich, da wir Menschen da sind, muss es irgendwie doch geklappt haben *9) ; es muss etwas besonderes am Kohlenstoffkern geben, dass seine Bildung beschleunigt, so dass sich jeder Bor-Kern praktisch sofort in Kohlenstoff verwandelt. Nach einiger Überlegung kam er darauf, dass der Kohlenstoffkern ein angeregtes Energieniveau bei einer Energie von 7,5 MeV über dem Grundzustand besitzen muss. Und so ist es tatsächlich, wie man zwei Jahre später experimentell bestätigte. Glücklicherweise haben aber die Sauerstoffkerne kein solch passendes Anregungsniveau, denn sonst wären die Konzentrationen von Kohlenstoff trotzdem sehr gering ausgefallen, da sich alles beim Sauerstoff – oder auch gegebenenfalls beim Neon – angesammelt hätte.

Gibt es ein Universum oder unendlich viele?
Wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, gibt es gute Gründe anzunehmen, dass bei der Entstehung der Welt eine göttliche Vorsehung gewirkt hat, die die Materie so geschaffen hat, dass zumindest an einer Stelle, nämlich auf der Erde, sich später menschliches Leben hat entwickeln können. Andererseits fällt es schwer, im täglichen Geschehen die fürsorgliche Hand Gottes wahrzunehmen. Wenn es einen Gott gibt, der allmächtig ist und alles erhält, warum verhindert er dann nicht auch die fürchterlichen Naturkatastrophen, die uns Menschen heimsuchen? Warum lässt er schreckliche Kriege und große Ungerechtigkeiten in der Welt zu? Unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine deistische Einstellung nicht abwegig: Gott hat zwar die Welt so erschaffen, dass Leben später möglich wurde, doch hat er sich nach der Schöpfung zurückgezogen und übt nun keinen Einfluss mehr aus. Als Theist dagegen muss man bekennen, dass es schwierig ist, Gottes Wille im täglichen Leben zu erkennen. Manche erklären das mit den Worten: „Ich bin zu klein, um seine Entscheidungen zu verstehen“.

Auch die Atheisten konnten nicht leugnen, dass es sich beim Urknall – wenn schon nicht um einen Schöpfungsakt – aber nichts desto weniger doch um einen gelungen Anfang handelt. Schnell war jedoch ein Ausweg gefunden, Gott aus dem Geschehen herauszuhalten:“ Wer sagt uns denn, dass es nur ein Universum gibt“? Klar, wir können nur das eine sehen, denn ähnlich wie es auf der Erde einen das Blickfeld begrenzenden Horizont infolge der Erdkrümmung gibt, so existiert auch ein kosmischer Horizont, der nur eine endliche Reichweite der Beobachtung zulässt. Jenseits dessen mögen sich jedoch noch andere Universen befinden, und wenn der Raum unendlich ist, dann möglicherweise auch unendlich viele davon [6]. Der unendliche Raum gleicht in dieser Vorstellung einem Schaum, dessen sich ausdehnende Blasen die verschiedenen Universen sind. Jedes Universum mag zu einem anderen Zeitpunkt entstanden sein und – noch wichtiger – seine eigene Gesetzmäßigkeit haben. Die allermeisten von ihnen werden von tödlicher Langeweile sein, da sich kein Leben entwickeln kann, namentlich keine Lebewesen, die über sich selbst und ihre Welt nachdenken können, wie wir Menschen. Aber, auch wenn die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren mit Leben erfüllten Kosmos noch so klein sein mag, sie kann nicht null sein; denn es gibt ja uns. Multipliziert mit Unendlich ergibt jedoch wieder eine unendliche Zahl an belebten Universen. Man sieht, bei diesem Jonglieren mit der Unendlichkeit sind der Spekulation Tür und Tor geöffnet. Auf einmal erscheint alles möglich, was man sich auch ausdenken mag. Das ist die Kehrseite des Multiuniversums: da es keinerlei Auswahlkriterien kennt, verschwimmt es in totaler Beliebigkeit, nichts ist unmöglich!

Kehren wir noch einmal zum Urknall zurück. Weiß man wie oder warum er erfolgte? Eigentlich lautet die korrekte Antwort nein, aber die Quantenmechanik liefert immerhin einen interessanten Denkansatz. Ähnlich wie es die Unschärferelation nicht zulässt, dass die Elektronen im Atom zur Ruhe kommen, verbietet sie ein völlig leeres, ruhiges Vakuum. Das Vakuum muss vielmehr fluktuieren, was dazu führt, dass ständig Paare von Teilchen und Antiteilchen produziert werden, die dann aber nach sehr kurzer Zeit wieder zerstrahlen. Das Vakuum verhält sich also in jedem Punkt des Raumes, ähnlich zum Urknall, es gibt sozusagen Mini-Schöpfungsakte. Allerdings beobachtet man unter normalen Bedingungen eigentlich nur das gelegentliche Entstehen und Vergehen von leichten Elektronen und ihren Antiteilchen, den Positronen *10). Schwerere Teilchen und gar noch in größerer Zahl können nur in großen Beschleunigungsanlagen beobachtet werden, wenn man hoch energetische Teilchen miteinander kollidieren lässt. Die Frage, ob also der Urknall ebenfalls durch eine Fluktuation des Vakuums erklärbar ist, ist schwierig zu beantworten und nach wie vor offen. Auf jeden Fall ist die Wahrscheinlichkeit hierfür extrem klein, doch wenn man beliebig lange warten kann, vielleicht passiert es dann doch einmal.


4. Schlussgedanken

Einmal angenommen es verhielte sich so, dass unser Kosmos nicht etwas Einmaliges ist, sondern dass es tatsächlich mehrere Universen gäbe. Müssten diese dann aber alle gänzlich verschieden sein? Wenn der Zufall das übergeordnete Prinzip wäre, dann vielleicht ja. Doch gibt es für diese Annahme keinen zwingenden Grund. Zwar sind die Objekte, auf die wir die Gesetze der Quantenmechanik anwenden, dem Zufallsprinzip unterworfen, nicht jedoch die Gesetze selbst. So könnte es sehr wohl sein, dass die parallelen Universen sehr ähnlich zu dem unsrigen ausfallen.
Die als Erhaltungssätze (Energie, Impuls, Drehimpuls usw.), mathematische Relationen oder Gleichungen formulierten Prinzipien der Physik sind meines Erachtens die tiefsten Erkenntnisse, die die Menschheit sich bislang erschlossen hat. Dennoch ist hier noch kein zufriedenstellender Zustand erreicht, da wir die Gesetzmäßigkeiten, die bei der Bildung der elementaren Teilchen im Urknall im Spiel waren, nicht kennen. So sind wir gezwungen, etwa 27 fundamentale Parameter aus Beobachtungen, Messungen oder Schätzungen zu übernehmen, ohne zu wissen, warum sie gerade die ihnen zugewiesenen Werte haben. Auch wissen wir nicht, warum die Natur positive und negative elektrische Ladungen hervorgebracht hat und wie es bewerkstelligt wird, dass diese mit unvorstellbarer Präzision sich in den Atomen neutralisieren. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die Menschheit in der Lage sein wird, mit Bezug auf diese Fragen noch weiter voran zu kommen.
Die Feststellung, dass die Mathematik sich bereits auf dem zurück gelegten Weg als so leistungsfähig bei der exakten Beschreibung der Natur erwiesen hat, kann kein Zufall sein und gibt uns einen deutlichen Hinweis, dass der Logik als transzendentes Prinzip eine bedeutsame Rolle zukommt. Damit müsste man zwar auf einen persönlichen Gott, der sich um uns in allen Lebenslagen kümmert, verzichten, aber immerhin wäre nach wie vor eine lenkende Kraft im Spiel, die sich in der Vergangenheit als segensreich erwiesen hat. Die Entstehung neuer Universen erscheint in diesem Zusammenhang übrigens als eine hoffnungsvolle Möglichkeit, sinnerfülltes Leben auch für die ferne Zukunft zu ermöglichen. Dann nämlich, wenn unser Kosmos in etwa zehn Milliarden Jahren sein energetisches Potential erschöpft haben wird und alle Sterne erloschen sind *11).
Diese Aussicht der Fortsetzung der Schöpfung in einem anderen Universum mag nicht jedem als Trost erscheinen, und zugegeben, ein sich bis in alle Ewigkeit um uns sorgender Gott wäre mir auch lieber, doch erscheint mir dieses Verlangen als unvereinbar mit dem Wissen, das wir uns kraft unseres Verstandes angeeignet haben. So gesehen, hat die Aufklärung einen Preis, der manchem zu hoch sein mag. Andererseits ist eine solche atheistische Auffassung durchaus vereinbar mit einer Anerkennung der Ethik und der moralischen Gesetze etwa im Sinne des Kantschen Imperativs. Auch kann uns aus der Zuneigung und Liebe zu anderen Menschen sowie der Fürsorge für die uns anvertraute Natur große Genugtuung und Freude zufließen, so dass das Leben auch ohne ein persönliches Gottesbild vor Augen zu haben mit Sinn und Lebenslust erfüllt ist. Vielleich hatte Heisenberg dies im Sinn als er den bereits zitierten Ausspruch niederschrieb: „Die Frage nach Gott ist ja längst keine wissenschaftliche Frage mehr, sondern die Frage nach dem was wir tun sollen.“


Anmerkungen

*1) Diese Vereinigung ist im eigentlichen Sinne bis heute nicht vollzogen. Die Dirac-Gleichung berücksichtigt aber die relativistische Massenzunahme der Teilchen und verhindert somit, dass die Teilchen die Lichtgeschwindigkeit erreichen.

*2) Der Quantensprung der Physik bezeichnet einen extrem kleinen aber dennoch endlichen Energiesprung.
Mittlerweile ist der Begriff auch in der Alltagsprache angekommen, hat dort aber eine Umkehrung seiner ursprünglichen Bedeutung erfahren und steht nun für etwas sehr Großes, Bedeutsames. Eine ähnliche Mutation hat auch der Atombegriff erfahren. In der Umgangssprache ist z.B. mit einem Atombusen keineswegs etwas Winziges, sondern eher eine beeindruckende Hügellandschaft gemeint.

*3) Nachdem man sie über viele Jahrzehnte für unsinnig erachtet hatte, erfreut sich die kosmische Konstante seit einigen Jahren im Zusammenhang mit der Entdeckung der „dunklen Energie“ wieder großer Beliebtheit. Man benötigt sie, um die beschleunigte Ausdehnung des Kosmos in den Gleichungen zu berücksichtigen.

*4) Die entscheidenden ersten Messungen wurden von Edwin Hubble durchgeführt, nachdem das heute so erfolgreiche „Hubble-Teleskop“ benannt ist.

*5)  Eigentlich der Galaxien, also Anhäufungen von jeweils etwa 100 Milliarden Sternen, ähnlich der unserer Milchstraße.

*6) Physikalisch korrekt ist der Urknall eigentlich keine Explosion, sondern der Anfangszeitpunkt der Entstehung der Materie und der Raumzeit. Die erste Theorie hierzu wurde 1927 von dem belgischen Theologen und Physiker George Lemaître aufgestellt.

*7) Dazu zählt insbesondere die bereits angesprochene kosmische Hintergrundstrahlung, deren genaue Analyse uns sogar ein Bild des Kosmos zum Zeitpunkt 300 000 Jahre nach dem Urknall vermittelt. Auch der Zerfall des Rhenium-Isotops 187 Re zu 187 Os mit einer Halbwertzeit von 42 Milliarden Jahren in den Meteoriten aus der Frühphase des Sonnensystems bestätigt das aus der Hubble-Konstante H0 = (74 km/s )/(Mpc) abgeleitete Alter des Weltalls von 13,7 Milliarden Jahren.

*8)  Neutrinos sind extrem leichte Elementarteilchen ohne elektrische Ladung, die beim Betazerfall entstehen und ebenso wie die Photonen in riesiger Zahl im Kosmos vorhanden sind.

*9)  Man bezeichnet diese Schlussfolgerung als das „Anthropische Prinzip“.

*10) Die virtuellen Positronen schirmen den positiv geladenen Atomkern ab und verursachen so eine sehr kleine Verschiebung der Spektrallinien, die sogenannte Lamb-shift.

*11) Unsere Sonne wird in etwa 7 Milliarden Jahren zum „Roten Riesen“ werden und alle inneren Planeten (Merkur, Venus, Erde und Mars) eindampfen. Nach weiteren zwei Milliarden Jahren wird sie dann alle Energie erschöpft haben und zu einem „Weißen Zwerg“ schrumpfen. Ein ähnliches Schicksal erwartet früher oder später alle Sterne.

Literatur:

[1] Michael Nowotny, „Quantenphysik und Gottesbild“, Seminararbeit (Sommersemester 2003),
Johannes Gutenberg‐Universität Mainz, Fachbereich 11
[2] Spektrum der Wissenschaft 11 (1999) S. 81
[3] Über Einstein existiert eine kaum mehr überschaubare Fülle an Literatur. Ein sehr empfehlenswertes Buch ist : Armin Herrmann,        „Einstein – Der Weltweise und sein Jahrhundert“, Piper Verlag 1994
[4] Heimo Dolch, „Grenzgänge zwischen Naturwissenschaft und Theologie“, Paderborn, Schöning 1986
[5] A. C. Phillips, „The Physics of Stars“, Wiley & Sons 1999
[6] Tobias Hürter, Max Rauner: Die verrückte Welt der Paralleluniversen. Piper Verlag 2010 
[7] A. Unsöld, B. Baschek, „Der Neue Kosmos“, Springer Verlag 2001 

Bei der Ausarbeitung dieses Vortrags habe ich auch auf folgende Bücher zurück gegriffen: 
Günther Hasinger, „Das Schicksal des Universums“ C.H. Beck Verlag 2008
Harald Fritsch, „Das absolut Unveränderliche“, Piper Verlag 2005
Brian Green, „Das Elegante Universum“, Siedler Verlag 2009
Stephen Hawking, „Eine kurze Geschichte der Zeit“, Rowohlt 1991
Henning Genz, „Die Entdeckung des Nichts“ Hanser Verlag 1994