Rede zum 82. Geburtstag
Liebe Freundinnen und Freunde,
heute vor 82 Jahren wurde ich in Velbert im Rheinland geboren. Im Rückblick kann ich feststellen, dass der größte Teil der zurückliegenden langen Zeitspanne für mich recht angenehm verlaufen ist. Einen erheblichen Anteil an diesem positiven Ergebnis geht auf das Konto meiner lieben Frau Ursula Maria mit der ich inzwischen seit 60 Jahren zusammen lebe. Sie ist zwar der Auffassung, dass die wahre Ursache für mein Wohlergehen darin begründet ist, dass ich im Wonnemonat Mai und noch dazu an einem Sonntag zur Welt kam. Wie auch immer, mir ist auch diese Erklärung recht.
Ein anderer, nicht ganz so wichtiger Mensch in meinem Leben, ist der dänische Astronom Olaf Römer, der allerdings bereits im Jahre 1710 verstorben ist. Er hat einen nicht zu unterschätzenden Anteil daran, dass ich mich mit 22 Jahren dazu entschloss, das Studium der Physik aufzunehmen, das mir in den folgenden Jahrzehnten soviel Spaß und auch einigen Erfolg beschert hat. Dazu muss ich kurz etwas ausholen und erläutern, was Olaf Römer in der Mitte des 17. Jahrhundert entdeckt hat. Es war dies die Zeitspanne in der die Optik einen großen Aufschwung nahm und der Himmel in ganz Europa mit den neuen Fernrohren genauer betrachtet wurde.
Da kam die Frage auf: was ist das Licht überhaupt?
Insbesondere: ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichtes endlich oder unendlich groß?
Die Mehrzahl der damaligen Theologen war der Ansicht, die Lichtgeschwindigkeit müsse unendlich sein, denn dies sei von Gott gewiss so gewollt und wenn er es so wollte, dann würde es auch so sein. Tatsächlich war ja auch jeder Versuch, eine Geschwindigkeit zu messen, bislang fehlgeschlagen. Olaf Römer jedoch behauptete in einem 1676 veröffentlichen Bericht das Gegenteil: Auch das Licht ist nicht unendlich schnell! Diese Nachricht verbreitete sich damals geradezu explosionsartig über ganz Europa. Wie aber kam er überhaupt dazu, eine solche Behauptung aufzustellen? Nun, Olaf Römer hatte das Glück als astronomischer Beobachter an die Pariser Sternwarte berufen zu werden. Dort beobachtete er die bereits 1610 von Galileo Galilei entdeckten vier Monde des Planeten Jupiter. Diese Entdeckung war von Papst Urban VIII keineswegs begrüßt worden, denn sie lieferte den Anhängern des Kopernikus, die das Ptolemäische Weltbild abschaffen und anstelle der Erde die Sonne ins Zentrum des Planetensystem setzen wollte, weitere wichtige Argumente. Römer konzentrierte sich insbesondere auf den innersten Mond Io, der den Riesenplaneten in einem sehr kleinen Abstand umkreist und für einen Umlauf nur 42,5 Stunden also 1,7 Tage braucht. Römer beobachtete dessen Umlauf über etwa 6 Jahre und machte dabei die merkwürdige Feststellung, dass diese Periodendauer nicht immer gleich blieb, sondern im Verlauf eines Jahres deutlich schwankte. So etwas war man vom Erdmond nicht gewohnt, denn dieser nimmt genau nach einer Dauer von 29,35 Tagen (synodischer Monat) wieder die gleiche Stellung zur Sonne ein. Wie konnte man diese Schwankungen erklären? Die Perioden konnte man besonders gut daran erkennen, dass Io alle 2 Tagen kurzzeitig total dunkel wurde, dann nämlich, wenn er die Schattenzone des Jupiter durchlief. Innerhalb eines halben Jahres zählte Römer 102 solcher Dunkelzeiten. Sehr aufschlussreif war nun Römers genaue Analyse der Befunde: er stellte fest, dass die Periodendauer zwischen zwei Dunkelzeiten ständig zunahm, wenn die Erde bei ihrem Umlauf um die Sonne sich von Jupiter entfernte. Umgekehrt verkürzte sich die Periodendauer, wenn sich der Abstand Jupiter-Erde verkleinerte. Damit war klar, dass die Änderungen der Periodendauer keine wahren Schwankungen der Umlaufzeit des Io um den Jupiter waren, sondern durch den Umlauf der Erde um die Sonne zustande kamen. Man beobachtete diese Erscheinungen ja immer von der Erde aus, und wenn diese sich bewegte, konnte das auch einen Einfluss haben. Römer summierte nun folgerichtig die Zunahmen der Periodendauern während einer halbjährigen Annäherungsphase zwischen Erde und Jupiter. Das ergab eine Zeitspanne von 1000 Sekunden (16,7 Minuten). Dies musste die Zeit sein, die das Licht brauchte, um den Durchmesser der kreisförmigen Erdbahn zu durchlaufen. Dieser Durchmesser beträgt 300 Millionen km. 300 Millionen km, geteilt durch 1000 Sekunden ergibt eine Lichtgeschwindigkeit von
c = 300 000 km pro Sekunde
Eine riesige Geschwindigkeit, aber dennoch, nicht unendlich !
Erst 200 Jahre später gelang es dem Franzosen Hippolyte Fizeau diesen Wert durch Messungen auf der Erde zu bestätigen. Wiederum etwa 100 Jahre später erkannte Albert Einstein, dass die Lichtgeschwindigkeit die größte Geschwindigkeit im gesamten Universum ist. Nur die Lichtteilchen, die Photonen, können sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Sie können das, weil sie keine Masse haben. Alle übrigen Körper oder auch Elementarteilchen, wie beispielsweise auch die sehr leichten Elektronen, können sich der Lichtgeschwindigkeit nur annähern.
Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber ich war damals als junger Mensch sehr beeindruckt von der Leistung des Olaf Römer und erfüllt von dem Wunsch etwas ähnlich Bedeutsames zu finden. Ist mir das gelungen ? Leider nein ! Aber man sollte auch nicht zu ehrgeizig sein. Ich habe mich aber damals umgeschaut, wo gibt es noch Forschungsfelder, die eine große Herausforderung darstellen. Und da kam ich auf die kontrollierte Kernfusion. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte man viel Zeit und Mühe darauf verwendet, herauszufinden, woher die Sonne eigentlich die ungeheure Energie nimmt, die sie seit Milliarden von Jahren uns zustrahlt. Dabei kam man zunächst darauf, dass schwere Atome wie Uran zerfallen können und dabei Energien, die seit Jahrmillionen in den Atomkernen gespeichert sind, freisetzten. Diese Energiequelle, Kernspaltung genannt, nutzt der Mensch seit einigen Jahrzehnten indem er Kernkraftwerke baut. Aber das konnte ja nicht die Energiequelle sein, aus der die Sonne und ebenso die Gesamtheit der Milliarden von Sternen im Kosmos ihre Energie bezieht, denn diese bestehen im Wesentlichen nur aus den leichtesten Atomen, also Wasserstoff. Kluge Köpfe machten sich nun daran, zu verstehen, wie die Sterne denn aus Wasserstoff Energie gewinnen können. Bereits 1923 äußerte der berühmte Ernest Rutherford die Vermutung, dass die ungeheuren Energiemengen, die unsere Sonne freisetzt, aus der Verschmelzung von Wasserstoffkernen zu Helium stammen könne. Es dauerte dann noch fast zwei Jahrzehnte bis man diesen Prozess besser verstanden hatte. Aber seit etwa 1940 wissen wir, dass im Inneren der Sonne in jeder Sekunde 600 Millionen Tonnen Wasserstoff zu 596 Millionen Tonnen Helium verschmolzen werden. Die Differenz von 4 Millionen Tonnen wird direkt (entsprechend der Einsteinschen Relation E= m c^2) in Strahlungsenergie umgewandelt und heizt das Sonnenzentrum auf Temperaturen bis etwa 15 Millionen Grad auf. Natürlich kann das nicht ewig so weiter gehen und in etwa 4,5 Milliarden Jahren werden die Vorräte aufgebraucht sein und die Sonne wird verlöschen. Da haben wir aber noch einmal Glück gehabt, denn es gibt Sterne, die mit ihren Wasserstoffvorrat viel verschwenderischer umgehen, und schon innerhalb weniger Millionen Jahren ihren Vorrat verbrauchen.
Natürlich kamen damals auch sofort einige auf die Idee, was die Sterne können, können wir Menschen doch schon lange! Und in der Tat wird seit etwa 1960 weltweit an einer endgültigen Lösung des Energieproblems mit Hilfe der Kernfusion geforscht. Aber, was die Sterne können, kann der Mensch noch lange nicht! Die energieproduzierenden Sterne haben nämlich sämtlich eine gewaltige Masse und halten das heiße Gas (das eigentlich ein Plasma* ist) mit Hilfe der Schwerkraft zusammen. Von den vier uns bekannten Kräften: 1) Gravitation = Schwerkraft, 2) Schwache Kraft, 3) Elektro-Magnetische Kraft, 4) Starke Kraft = Kernkraft, ist die Gravitation nämlich die schwächste und eigentlich völlig ungeeignet ein heißes Plasma einzuschließen. Aber auch die schwache Kraft und die Kernkraft sind nicht geeignet. Es kommen also allein die Elektromagnetischen Kräfte noch in Frage und davon wiederum eigentlich nur die magnetischen. Aber muss man denn auch das Plasma wie ein konventionelles Gas stationär einschließen. Die Antwort ist vielleicht nicht, es geht möglicherweise auch ohne Einschluss, wenn man nur kurze Heizpulse verwendet. Das versucht zumindest die Forschungsgruppe "Laserfusion". Die zur Zeit vorliegenden Ergebnisse werden je nach Standpunkt des Befragten als "sehr ermutigend" bis "noch weit vom Ziel entfernt" eingeordnet.
Ich selbst hatte es während meiner aktiven Zeit in Garching, Berlin, Oxford und Princeton immer mit Experimenten zu tun, die auf der Basis des magnetischen Einschluss konzipiert waren. Da gab es schon sehr schöne Erfolge, etwa wenn es uns gelang, in dem Garchinger Experiment ASDEX Temperaturen von bis zu einigen 100 Millionen Grad zu erzeugen und diese für 3 Sekunden aufrecht zu erhalten. Ich habe auch mit großer Freude verfolgt, dass das 1994 in Greifswald gegründete Max-Planck Teil-Institut inzwischen große Fortschritte mit dem neuen Stellarator-Experiment "WENDELSTEIN 7X" vorzuweisen hat. Diese sehr ambitionierte Weiterentwicklung ist wirklich sehr bedeutsam, denn sie könnte erstmalig auch eine kontinuierlichen Energieerzeugung mit Hilfe des magnetischen Einschlusses ermöglichen.
Wenn Sie mich nun aber fragen würden: Wann können wir denn mit dem ersten Reaktor rechnen ?
Muss ich antworten: das ist leider immer noch nicht sicher absehbar, auf jeden Fall wird es noch mindestens 20 Jahre dauern.
Ein großes, grundsätzliches Problem bei der Kernfusion ist es, dass man die Testapparaturen nicht beliebig klein bauen kann. Das liegt daran, dass ein Reaktor natürlich eine positive Energiebilanz aufweisen muss. Das heißt die Ausgangsleistung muss deutlich über der aufzuwendenden Heizleistung liegen. Mathematisch ausgedrückt heißt das
Ausgangsleistung/Eingangsleistung = q > 1
Eine positive Energiebilanz erfordert aber immer auch eine bestimmte Mindestgröße der Anlage. Mit zunehmender Größe steigen aber nicht nur die Kosten, sondern auch die Bauzeiten. Die zur Zeit erreichten Bedingungen liegen bestenfalls nahe dem Gleichgewichtszustand q = 1 (break-even) und das auch nur für einige Sekunden.
Es bleibt also noch einiges zu verbessern, aber, und das ist zumindest meine Auffassung: die Sache ist nicht hoffnungslos !; es lohnt sich hier am Ball zu bleiben, denn das Energieproblem wird auch in Zukunft, trotz Photovoltaik und Windenergie, nicht aus der Welt sein. Diese alternativen Energien sind uns zwar heute sehr willkommen, doch der damit verbundene riesige Landschaftsverbrauch wird mit steigendem Energiebedarf in den Ländern der Dritten-Welt möglicherweise untragbar werden.
Mit diesem nicht ganz ungetrübten Ausblick will ich nun schließen. Auf jeden Fall danke ich Euch sehr für die Aufmerksamkeit, die Ihr mir heute geschenkt habt. Es war für mich das schönste Geburtstagsgeschenk, das man sich wünschen kann.
* Ein Plasma ist Materie im vierten Aggregatzustand. Hier sind die neutralen Atome infolge der hohen Temperatur in negative Elektronen und positive Protonen zerlegt worden. Im Gegensatz zu einem neutralen Gas leitet ein Plasma den elektrischen Strom und reagiert auch auf Magnetfelder. Neben der Sonne sind auch alle leuchtenden Sterne im Plasmazustand. Auf der Erde sind die Blitze ebenfalls in diesem Zustand.